Mythen der Gemeinnützigkeit: Was gemeinnützige Organisationen dürfen und was nicht (1)

Es gibt weit verbreitete Mythen zu der Frage, was gemeinnützige Organisationen in Deutschland dürfen und was sie eben nicht dürfen. Viele dieser Mythen entstehen durch Missverständnisse und mangelndes Wissen über die rechtlichen Rahmenbedingungen. In Teil 1 unseres zweiteiligen Magazin-Beitrags möchten wir auf die ersten fünf der zehn hartnäckigsten Fehlannahmen eingehen und sie mit Fakten widerlegen.
Wenn Sie sich im gemeinnützigen Bereich betätigen, ob als Ehren- oder Hauptamtlicher in einer gemeinnützigen Organisation1, werden Sie sich regelmäßig Fragen stellen wie: „Dürfen wir das?“, „Ist das rechtlich zulässig?“, „Riskieren wir damit unsere Gemeinnützigkeit?“. Sich diese Fragen zu stellen, ist grundsätzlich vernünftig. Bei ihrer Beantwortung hilft oftmals schon ein Blick in spezifische Gesetzestexte und in den sog. Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO)2.
Die weit verbreitetsten „Gemeinnützigkeitsmythen“
Mythos 1: Gemeinnützige Organisationen dürfen keinen Gewinn machen
Richtig ist, dass wirtschaftliches Gewinnstreben nicht im Vordergrund stehen bzw. zum Selbst- bzw. Hauptzweck der gemeinnützigen Organisation werden darf. Der Organisation selbst ist aber systematisches Gewinnstreben erlaubt.
Möglicherweise trägt hier die vielfach verwendete Bezeichnung von gemeinnützigen Organisationen als Non-Profit-Organisationen zum Missverständnis bei. „Der Begriff suggeriert – irrtümlicherweise – dass Nonprofit-Organisationen keine Gewinne oder Überschüsse machen dürfen. Dies ist nicht der Fall. Entscheidend sind nicht Gewinne und Überschüsse, die erzielt werden können, sondern deren Verwendung: Überschüsse und Gewinne dürfen nicht entnommen, sondern müssen in die Organisation bzw. in ihre Projekte und Programme reinvestiert werden.“3
Allen gemeinnützigen Organisationen ist dementsprechend zu wünschen, dass sie möglichst hohe Gewinne erzielen, um nicht nur finanzielle Stabilität und Planungssicherheit zu gewinnen, sondern sich auch weiter zu entwickeln und der Erfüllung der eigenen Vision näher zu kommen.
Mythos 2: Gemeinnützige Organisationen dürfen sich nicht (vollständig) aus wirtschaftlichen Einnahmen finanzieren
Richtig ist, dass gemeinnützige Organisationen ihren steuerbegünstigten Status verlieren können, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb nicht dem steuerbegünstigten Zweck untergeordnet ist, sondern einen davon losgelösten Zweck oder gar Hauptzweck der Betätigung der Körperschaft darstellt.
Eine wirtschaftliche Betätigung ist jedoch grundsätzlich zulässig, wie es auch in der Mustersatzung zur Abgabenordnung zum Ausdruck kommt, die nur die sehr reduzierte Formulierung enthält: „Die Körperschaft ist selbstlos tätig; sie verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke.“4
Interessanterweise sieht der Gesetzgeber bei steuerbegünstigten Körperschaften, insbesondere Förderkörperschaften, die sich in ihrer tatsächlichen Geschäftsführung an die in ihrer Satzung enthaltene Pflicht zur Verwendung sämtlicher Mittel für die satzungsmäßigen Zwecke halten, das Ausschließlichkeitsgebot5 „selbst dann erfüllt, wenn sie sich vollständig aus Mitteln eines steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs oder aus der Vermögensverwaltung finanzieren“.6
Damit darf die sog. Geprägetheorie, derzufolge der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb nicht das Übergewicht (mehr als 50 Prozent an Einnahmen, Zeit- und Personalaufwand) bekommen sollte, zumindest hinsichtlich des Aspekts der Einnahmen mittlerweile als überholt betrachtet werden.
Mythos 3: Die Satzung einer gemeinnützigen Organisation ist unveränderlich
Richtig ist, dass es je nach Rechtsform unterschiedliche Bedingungen gibt, wie leicht oder schwer die „Verfassung“ der Organisation verändert werden kann. Gleichwohl bieten sich selbst bei strenger reglementierten rechtsfähigen Stiftungen Möglichkeiten, Bestandteile der Satzung in Abstimmung mit den Aufsichtsbehörden zu verändern, wobei in Bezug auf organisatorische Strukturen und Abläufe geringere „Hürden“ gesetzt sind als beispielsweise in Bezug auf die Art und Weise der Verwirklichung des Stiftungszwecks.
Da es mitunter – bewusst oder unbewusst – deutlich erschwert sein kann, die jeweilige Satzung zu verändern, ist es sinnvoll, sich vor der Gründung einer gemeinnützigen Organisation intensiv mit der Frage der Rechtsform und der Gestaltung der Satzung auseinanderzusetzen. Hierbei können sich die Devisen “weniger ist mehr” und – bezogen auf den Satzungszweck – “so breit und flexibel wie möglich und so eng und starr wie nötig” langfristig auszahlen. Zudem können die von einigen Behörden zur Verfügung gestellten Mustersatzungen eine wertvolle Orientierungshilfe sein, wobei eine wortgenaue Übernahme der Formulierungen der jeweiligen Mustersatzung nicht erforderlich ist.7
Ferner ist es sinnvoll, bestehende Satzungen von Zeit zu Zeit auf ihre „Praxistauglichkeit“ hin zu überprüfen und gegebenenfalls an veränderte innere oder äußere Umstände anzupassen.
Mythos 4: Gemeinnützige Organisationen dürfen nur soziale Zwecke verfolgen
Richtig ist, dass um von einer Finanzbehörde als gemeinnützig anerkannt zu werden, die Satzung der jeweiligen Organisation zwingend Vorgaben zur Einhaltung des Gemeinnützigkeitsrechts (nach § 60 Abgabenordnung) bzw. zur Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke enthalten muss. Bezogen auf Organisationen, die gemeinnützige Zwecke verfolgen, heißt das, dass ihre Tätigkeit darauf gerichtet sein muss, „die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern“. Was als gemeinnützig gilt, hat der Gesetzgeber in einem schrittweise erweiterten, inzwischen 26 Zwecke umfassenden Katalog definiert.
Dazu zählen u.a. „klassische Gebiete“ für ein gemeinwohlförderndes Engagement wie das Wohlfahrtswesen und soziale Dienste, aber beispielsweise auch Wissenschaft und Forschung, Bildung und Kultur, Umwelt- und Naturschutz, Gesundheitswesen sowie Sport und Brauchtumspflege.
Keinesfalls müssen nur soziale, humanitäre Zwecke zugunsten von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Senioren oder fest definierten sozial benachteiligten Gruppen verfolgt werden. Das eröffnet beispielsweise Stifterinnen und Stiftern einen großen Raum an Möglichkeiten, für welche Zwecke sie privates Vermögen zur Verfügung stellen möchten.
Mythos 5: Gemeinnützige Organisationen dürfen bis zu 50 % ihrer Einnahmen für die Verwaltung einsetzen
Richtig ist, dass gemeinnützigen Organisationen Grenzen gesetzt sind, in welchem Umfang sie Einnahmen zur Finanzierung von Verwaltungskosten einsetzen, aber es von mehreren Faktoren abhängig ist, ob der Gemeinnützigkeitsstatus entzogen wird bzw. versagt bleibt.
Auch hier lohnt ein Blick in den Anwendungserlass zur Abgabenordnung: „Eine Körperschaft kann nicht als steuerbegünstigt behandelt werden, wenn ihre Ausgaben für die allgemeine Verwaltung einschließlich der Werbung um Spenden einen angemessenen Rahmen übersteigen (§ 55 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 AO). Dieser Rahmen ist in jedem Fall überschritten, wenn eine Körperschaft, die sich weitgehend durch Geldspenden finanziert, diese - nach einer Aufbauphase - überwiegend zur Bestreitung von Ausgaben für Verwaltung und Spendenwerbung statt für die Verwirklichung der steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verwendet (…). Die Verwaltungsausgaben einschließlich Spendenwerbung sind bei der Ermittlung der Anteile ins Verhältnis zu den gesamten vereinnahmten Mitteln (Spenden, Mitgliedsbeiträge, Zuschüsse, Gewinne aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben usw.) zu setzen.
Für die Frage der Angemessenheit der Verwaltungsausgaben kommt es entscheidend auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls an. Eine für die Steuerbegünstigung schädliche Mittelverwendung kann deshalb auch schon dann vorliegen, wenn der prozentuale Anteil der Verwaltungsausgaben einschließlich der Spendenwerbung deutlich geringer als 50 % v.H. ist."8
Gemeinnützige Organisationen, die sich hinsichtlich der Zulässigkeit der Mittelverwendung unsicher sind, sollten vor der Verwendung von Einnahmen in der ein oder anderen Weise Kontakt zu der Finanzbehörde suchen, die ihre Gemeinnützigkeit – per Fest- oder Freistellungsbescheid – bescheinigt hat, um Steuernachzahlungen oder gar den Entzug der Gemeinnützigkeit zu vermeiden.
Im Zweifelsfall Rechtsberatung einholen
Die Bewertung der gemeinnützigkeitsrechtlichen Vorgaben kann – trotz intensiver Lektüre der Gesetzestexte und öffentlich zugänglicher rechtlicher Bewertungen und Kommentierungen – heraus- und mitunter auch überfordernd sein. Daher sollten Vertreterinnen und Vertreter gemeinnütziger Organisationen sich nicht scheuen, hier professionelle Beratung einzuholen, wenn die entsprechende Kompetenz und Expertise auf Mitgliederseite nicht vorliegt.
Bei Non Profit-Organisationen, die rechtliche Unterstützung benötigen, jedoch nicht die finanziellen Ressourcen haben, um diese in Anspruch nehmen zu können, vermittelt beispielsweise der gemeinnützige Verein „BRAWO pro bono e. V.“ Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte an in der BRAWO-Region (Braunschweig, Gifhorn, Peine, Salzgitter und Wolfsburg) tätige Non Profit-Organisationen, welche sie bei konkreten Rechtsfragen unentgeltlich und zeitlich begrenzt unterstützen.
Sollten auch Sie eine solche Rechtsberatung benötigen, mit Ihrer Organisation aber außerhalb der BRAWO-Region tätig sein, sollten Sie sich mit der „UPJ pro bono Rechtsberatung“ näher auseinandersetzen. Seit 2018 vermittelt auch UPJ pro bono-Engagement von Anwältinnen und Anwälten und Kanzleien an gemeinnützige Organisationen, die die finanziellen Mittel für eine Rechtsberatung nicht aufbringen können. Das Angebot umfasst die Vermittlung konkreter Beratungsmandate, die von Kanzleien unentgeltlich übernommen werden.
In einzelnen Fällen kann vor dem Abschluss eines Beratungsmandats bereits der Austausch mit der zuständigen Finanzbehörde helfen, die spezifische Frage zu klären. In besonders wichtigen Fällen sollte ein Antrag auf eine verbindliche Auskunft gestellt werden, auch wenn dies gewöhnlich mit Kosten verbunden ist.9
Nehmen Sie gern mit uns Kontakt auf, wenn Sie Rückfragen oder Anmerkungen zu diesem Beitrag haben.
Hinweis:
Die Mythen 6 bis 10 haben wir in Teil 2 des zweiteiligen Magazinbeitrags thematisiert.
Dieser Beitrag stellt keine rechtliche Beratung dar und ersetzt diese nicht. Der Beitrag wurde auf Grundlage seriöser Quellen erstellt und soll der ersten Orientierung dienen.
Wesentliche Quellen:
1 Wenn von gemeinnützigen Organisationen gesprochen wird, sind zumeist – und auch in diesem Beitrag – sowohl diejenigen Organisationen gemeint, die gemeinnützige Zwecke (nach § 52 AO), die mildtätige Zwecke (nach § 53 AO) oder die kirchliche Zwecke (nach § 54 AO) verfolgen.
2 „Interne Verwaltungsanweisung zur Auslegung der Abgabenordnung. Der Anwendungserlass bindet nur die Finanzverwaltung der Länder (Landesfinanzverwaltung, Steuerverwaltung), nicht aber die Finanzgerichtsbarkeit (Finanzgerichte und der Bundesfinanzhof (BFH)). Änderungen und Neufassungen der Verwaltungsanweisungen zu den einzelnen Vorschriften erfolgen regelmäßig mittels BMF-Schreiben.“
(Quelle: https://wirtschaftslexikon.gabler.de)
Bundesministerium der Finanzen (BMF): Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) 2023 - Steuerbegünstigte Zwecke i.S.d. §§ 51-68 AO; in einer von der Deutschen Stiftungsakademie veröffentlichten, kostenfrei abrufbaren Version: www.stiftungsakademie.de/deutsche-stiftungsakademie/aeao
3 Quelle: Fischer, Kai: Businessplanung für Nonprofit-Organisationen („White-Paper“ Mission-Based Consulting), S. 23
4 Quelle: Anlage 1 (zu § 60 AO) Mustersatzung für Vereine…: abrufbar unter: www.gesetze-im-internet.de
5 „Das Ausschließlichkeitsgebot des § 56 AO besagt, dass eine Körperschaft nicht steuerbegünstigt ist, wenn sie neben ihrer steuerbegünstigten Zielsetzung weitere Zwecke verfolgt und diese Zwecke nicht steuerbegünstigt sind.“, AEAO, S. 20, Nr. 1
6 Bundesministerium der Finanzen (BMF): Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) 2023 - Steuerbegünstigte Zwecke i.S.d. §§ 51-68 AO; S. 20 („AEAO zu § 56 – Ausschließlichkeit“)
7 s. dazu: Mecking. Christoph: Die steuerliche Mustersatzung: Keine Pflicht zur wörtlichen Übernahme, in: StiftungsBrief Ausgabe 7, 2016
8 Quelle: Bundesministerium der Finanzen (BMF): Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) 2023 - Steuerbegünstigte Zwecke i.S.d. §§ 51-68 AO, S. 18; das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) "ermittelt den Anteil der Werbe- und Verwaltungsausgaben an den jährlichen Gesamtausgaben als einen Indikator für die wirtschaftliche und sparsame Mittelverwendung einer Spenden sammelnden Organisation. Es hält einen Anteil von mehr als 30% für unvertretbar hoch." (Quelle: https://dzi.de)
9 nähere Informationen zur Erteilung einer verbindlichen Auskunft im Land Niedersachsen unter: https://service.niedersachsen.de
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