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Begrüßung und Keynote

15.00 Uhr: Begrüßung durch Monika Schmidt, Geschäftsführerin der EngagementZentrum gGmbH

Kurz nach 15 Uhr begrüßte Monika Schmidt die rund 50 Veranstaltungsteilnehmerinnen und -teilnehmer in der Volksbank BraWo Direktion Braunschweig und warf einen kurzen Rückblick auf den im Jahr 2015 in Wolfsburg durchgeführten "Kinder.Stiften.Zukunft"-Kongress und auf die in den Vorjahren durchgeführte Ausgaben der Veranstaltungsreihe zur Kinderarmutsbekämpfung, die den inhaltlichen Schwerpunkt Bildung und Gesundheit hatten. „Wir wollen mit dieser Veranstaltung zur Vernetzung aller auf dem Gebiet der Kinderarmut aktiven Organisationen und Einrichtungen beitragen. Und das schafft man beispielsweise durch Veranstaltungen wie die heutige.“

Der im Jahr 2015 durchgeführte Kongress fand auf Initiative der Volksbank BraWo, ihrer Stiftung und ihrem Kindernetzwerk United Kids Foundations in Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung statt und führte 200 Akteure der Region, die sich im Bereich der Kinderarmutsbekämpfung engagieren, zusammen. Zahlreiche Kooperationen gingen aus diesem Kongress hervor. Mit und auf diesem Kongress wurde dem EngagementZentrum die Aufgabe übertragen, das sich damals in Ansätzen herauskristallisierende Netzwerk von Organisationen auf dem Gebiet der Kinderarmutsbekämpfung weiter zu fördern.

Keynote zum Thema "Ursachen, Formen und Folgen von Gewalt an und unter Kindern"

Im Anschluss berichtete Professorin Christiane Micus-Loos, die seit März 2018 am Institut für Pädagogik der Carl-Albrechts-Universität zu Kiel lehrt und forscht und sich bislang schwerpunktmäßig mit den Themen Aggressions- und Gewaltforschung, Feministische Theorie und Geschlechterforschung, (Auto-)Biographie- und Generationenforschung sowie Gesellschaftliche Transformationsprozesse auseinandergesetzt hat, in ihrer rund halbstündigen Keynote über die Ursachen, Formen und Folgen von Gewalt an und unter Kindern und präsentierte zentrale Forschungsergebnisse.

Zu Beginn ihres Vortrags führte Professorin Micus-Loos den Teilnehmenden die verschiedenen Formen von Gewalt und die vielfältigen Erklärungsansätze der Forschung, warum es zu Gewalt kommt, vor Augen. Es gäbe dabei, "keine lineare Erklärung und keine einfachen Antworten, sondern es sind vielmehr Mosaiksteine, die sich zu einem Gesamtbild zusammenfügten".  Gewalt sei ein komplexes Phänomen, das ganz unterschiedliche, im Wesentlichen auf drei Ebenen entstehende Ursachen haben könne.

Zu diesen Ebenen zählten laut Professorin Micus-Loos die persönliche Ebene, die Beziehungsebene und die Ebene des familiären und regionalen Umfelds .

Auf der persönlichen Ebene würden biologische Faktoren und persönliche Entwicklungsfaktoren (z.B. Geschlecht, Erbanlagen, Schwangerschaftsrisiken, hormonelle Faktoren etc.) erfasst werden, die Einfluss darauf haben, wie sich ein Mensch verhält.

Auf der zweiten Ebene, der Beziehungsebene, würden die engen zwischenmenschlichen Beziehungen zu Familie, Freunden, Partner*innen, Gleichaltrigen und Kolleg*innen u. a. auf die Frage hin untersucht werden, inwieweit sie das Risiko, zum Gewaltopfer oder -täter zu werden, erhöhen. Unter Jugendlichen könnten beispielsweise gewaltbereite Freunde die Gefahr, dass ein junger Mensch zum Gewaltopfer oder -täter wird, verstärken.

Auf der dritten Ebene des familiären und regionalen Umfelds ginge es um die soziale Beziehungen stiftenden Umfelder der Gemeinschaft wie Schulen, Arbeitsplätze und Nachbarschaften und um die für die jeweiligen Settings charakteristischen, Gewalt fördernden Risikofaktoren (z.B. Bevölkerungsdichte, hohe Arbeitslosigkeit, soziale Benachteiligungen, Armut, geringe soziale Vernetzung, Qualität der Erziehungseinrichtungen, fehlende individuelle Unterstützungssysteme etc ..

Risikofaktoren und Schutzfaktoren Gewalt zu erfahren und zu bewältigen

Professorin Micus-Loos betonte, dass auf jeder Ebene Risikofaktoren - insbesondere auch für Kinder - bestünden, d.h. persönliche Risikofaktoren (u.a. unsichere Bindungserfahrungen, Gewalterfahrungen im familiären Kontexte, psychische Belastungen, Stress), Risikofaktoren im Elternhaus (u.a. familiäre Situation wie psychisch kranke Eltern, Alkoholerkrankung eines Elternteils, häusliche Gewalt) sowie Risikofaktoren aus dem sozialen Umfeld (u.a. Wohnsituation, Armut, Lärm, Mobbingerfahrungen), aber sich ebenso Schutzfaktoren auf diesen drei Ebenen - persönliche Ebene, Beziehungsebene, Ebene des familiären und regionalen Umfelds - entwickeln könnten, die die Kinder vor Gewalt schützen oder deren Bewältigung erleichtern können.

Zu den persönlichen Schutzfaktoren zählten u.a. sichere Bindungserfahrungen, positives Selbstwertgefühl, Zuversicht und Optimismus, Repertoire zur aktiven Konflikt und Problembewältigung, körperliche und seelische Gesundheit, zu den Schutzfaktoren im Elternhaus u.a. Konstanz von Bezugspersonen, Verlässlichkeit, Gerechtigkeit, Emotionalität, Empathie, Wärme, verbindliche Strukturen und Regeln, sowie zu den Schutzfaktoren im sozialen Umfeld u.a. gleichaltrige Freundschaften, Netzwerk an verschiedenen sozialen Beziehungen über Familie hinaus, z.B. Nachbar*innen, Lehrkräfte, Trainer*innen.

Nach einem kürzeren Überblick über wesentliche Theorien zur Genese von Gewalt, ging Frau Micus-Loos in der Folge auf die psychologischen, körperlichen als auch ökonomischen und sozialen Folgen von Gewalt an bzw. für Kinder ein und nannte hierbei konkrete Beispiele, wie Ängste, Stress, Essstörungen, Schulprobleme oder auch soziale Isolierung.

Die Dunkelziffer sei in allen Bereichen der Gewalt an Kindern hoch. Die Gewalt an/ gegen Kinder betreffe alle Bevölkerungsschichten.

Zentrale Thesen zu den Ursachen, Formen und Folgen von Gewalt an und unter Kindern

Den Abschnitt zur Gewalt an Kindern schloss Frau Micus-Loos mit Thesen, die auf der Basis empirischer Untersuchungen als gesichert gelten können, zu denen u.a. zählten:

1) die Erscheinungsformen, Ursachen, Risikofaktoren und Motive von Gewalt unter Kindern sind sehr vielfältig. Häufige Gewaltmotive bei Kindern sind die Suche nach Anerkennung (geringes Selbstwertgefühl; Versuch, sich mit Gewalt soziale Anerkennung, Macht und Respekt in der Gruppe oder gegenüber anderen Personen zu verschafften), das Kompensieren negativer Gefühle (z.B. Ängste, Neid, Wut, Ohnmacht, Kränkung, Scham sind schwer auszuhalten; Ventil für Frust), Gruppendruck (Kinder und Jugendliche als Mitläufer*innen), aber auch Langeweile.

2) der Ort des Einsatzes von Kinder und Jugendgewalt ist weniger die Schule als vielmehr die Straße und andere öffentliche Räume und die verschiedenen Schultypen sind in sehr unterschiedlichem Maße betroffen.

3) die Zunahme an Gewalt unter Kindern und Jugendlichen geht teilweise auch auf einen relativ kleinen Teil von Mehrfachtätern zurück.

4) das Geschlecht hat Einfluss auf die Gewaltform: Jungen üben Gewalt anders aus als Mädchen. Unter Mädchen spiele indirekte Gewalt eine größere Rolle und die Gewaltformen sind in Abhängigkeit von Entwicklungs- und Lebensphase zu betrachten.

5) physische Gewalthandlungen eskalieren, weil die Kriterien für den Abbruch physischer aggressiver Attacken sich verändern oder ganz verschwinden, d.h. Opfer werden auch dann noch malträtiert, wenn sie bereits wehrlos auf dem Boden liegen.

Die Bedeutung von Prävention und und deren Ziele je nach Phase der Gewalt

In dem abschließenden Part ihres Vortrags ging Professorin Micus-Loos  darauf ein, warum Prävention so wichtig ist. "Prävention heißt, die Lebenskompetenzen von Kindern und Jugendlichen zu stärken."

Dabei ließe sich zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention unterscheiden:

Die primäre Gewaltprävention setze bereits vor dem Auftreten von Gewalt an und ziele darauf ab, Voraussetzungen zu schaffen, damit gewaltförmige Einstellungen und Verhaltensweisen gar nicht entstehen.

Die sekundäre Gewaltprävention sei Früherkennung und Intervention. Sie beziehe sich auf Maßnahmen in aktuellen Gewalt und Konfliktsituationen und zielt auf Verhaltens und Einstellungsänderungen.

Die tertiäre Gewaltprävention interveniere bei eskalierender Gewalt und diene der Rückfallverhütung. Dazu gehörten Maßnahmen zur Konfliktregelung und Nachbearbeitung.

Zu den wesentlichen Maßnahmen zählte Professorin Micus-Loos im Folgenden u.a.: Ernst nehmen, was Kinder berichten; solidarisches Verhältnis zwischen Pädagog*innen und Kindern; Artikulationsräume schaffen, die eine Thematisierung von Gewalt ermöglichen; Gewaltfreiheit als durchgängiges Prinzip auf allen Ebenen ansehen; gesellschaftliche gewaltvolle Verhältnisse in ihren Bedeutungen für Kinder und Jugendliche erkennen.

Im Anschluss an ihren Vortrag teilten mehrere Teilnehmenden ihre Einschätzungen und Sichtweisen zu einzelnen Thesen des Vortrags mit, berichteten aus ihrer beruflichen Praxis und stellten mitunter auch direkt Fragen. Anschließend gingen die Teilnehmer in eine rund zehnminütige Pause.

Hinweis: Die Teilnehmer der Veranstaltung haben die Präsentation des Vortrags von Professorin Micus-Loos im Nachgang der Veranstaltung zugesendet bekommen. Sollten Sie ebenfalls Interesse an der Präsentation haben, wenden Sie sich bitte direkt per Email an Frau Micus-Loos (Email: micus-loos@paedagogik.uni-kiel.de).

Informationen zu Vita und Veröffentlichungen von Professorin Micus-Loos finden Sie unter: https://www.sozialpaedagogik.uni-kiel.de/de/team/copy_of_micus-loos

16:00 Uhr: Austausch der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach der Keynote

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